Faschismus in
Europa auf dem Vormarsch
Rom, Samstag, 3.
Januar 1925
Der italienische
Faschismus ist als Ideologie und Herrschaftssystem Vorläufer einer
Entwicklung, die in den 20er und 30er Jahren in nur leicht
abgewandelten Varianten fast ganz Europa überzieht.
Der faschistische
italienische Ministerpräsident »Duce« Benito Mussolini kündigt
vor dem Parlament verschärfte Maßnahmen gegen die Opposition an.
Der Rede, die als Fanal gilt, folgt die Errichtung des nach dem
Führerprinzips strukturierten Einparteien-Staats. Sie markiert den
Anfang des totalitären Italien.
Vor den
Abgeordneten führt Mussolini aus: »48 Stunden nach meiner Rede wird
die Lage völlig geklärt sein.« Es kommt im ganzen Land zu
Massenverhaftungen und zum Verbot von Vereinen und Parteien. Am 5.
Januar werden die letzten rechtsliberalen Minister entlassen. Der
neue Justizminister Alfredo Rocca erlässt Gesetze, durch die
Mussolini ermächtigt wird, mit Hilfe von Dekreten zu regieren.
Damit sichert
sich der »Duce« unumschränkte Vollmachten. Die Proteste der
demokratischen Opposition werden niedergeschlagen, Gewerkschaften
gleichgeschaltet und zahlreiche politische Gegner zu
Zwangsaufenthalten auf den Mittelmeerinseln verurteilt.
In ganz Europa
sind in den 20er und 30er Jahren faschistische Organisationen auf dem
Vormarsch. Zu den faschistischen Ideologien und Bewegungen zählen
u.a. der Nationalsozialismus im Deutschen Reich, der Falangismus in
Spanien, die Rexbewegung in Belgien, die Heimwehr in Österreich, die
Ustascha in Kroatien und die Eiserne Garde in Rumänien. Ihnen
gemeinsam ist ihr extremer Nationalismus, ihre antiliberale,
antisozialistische und antiparlamentarische Haltung.
Zu den Ursachen
des europäischen Faschismus zählen in erster Linie die politischen
Veränderungen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und die Furcht vor
einer proletarischen Revolution nach dem Vorbild Sowjetrusslands. Vor
allem der kleinbürgerliche Mittelstand, Handwerker, Kaufleute,
Angestellte und Bauern fühlen sich durch das starke Anwachsen der
Arbeiterbewegung in ihrer Existenz und ihrem Status bedroht. Mit
Volksgemeinschaftsparolen versucht der Faschismus, die
Klassengegensätze aufzuheben. Soziale Spannungen werden dabei auf
religiöse, politische oder »rassische« Minderheiten abgelenkt.
Im Deutschen
Reich gründet Adolf Hitler am 27. Februar bei einer Versammlung im
Münchener Bürgerbräukeller die Nationalsozialistische
Arbeiterpartei (NSDAP) neu. Die bereits 1919 entstandene Partei war
nach dem gescheiterten Hitler-Putsch am 8./9. November 1923 verboten
worden. Hitler selbst war zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, kam
aber 1924 vorzeitig frei. In der Zwischenzeit hatten sich die
Nationalsozialisten in rivalisierende Gruppen zerstritten. Hitler
legt die neue NSDAP auf das Führerprinzip und einen absoluten
Legalitätskurs fest. Er plant, im Rahmen der Verfassung der Weimarer
Republik – über Wählerstimmen – die Macht im Deutschen Reich zu
erringen.
Am 9. November
entsteht die Schutzstaffel (SS). Sie ist eine Sonderorganisation zum
Schutz Hitlers, der sie als persönliches Instrument betrachtet. In
der NSDAP übt die SS Polizeifunktion aus.