Kaiser löst unbotmäßiges Parlament
auf
Montag, 31. Dezember 1906
Das Demokratieverständnis unter Kaiser
Wilhelm II. ist klar umrissen: Fügen sich die Abgeordneten nicht dem
Willen der Obrigkeit, so werden sie »nach Hause geschickt«.
Reichstagsauflösung: Der Anlass für
die Parlamentsschließung am 13. Dezember und Neuwahlen im Januar
1907 ist, dass Zentrum und SPD die von der Regierung geforderten
Mittel für die Fortsetzung des Hottentottenkrieges in
Deutsch-Südwestafrika nicht in voller Höhe bewilligen wollen. Das
Zentrum hatte zudem »wegen der verbesserten Kriegslage« eine
Reduzierung der Kolonialtruppen verlangt. Die Regierung bezeichnete
dies als Eingriff in die kaiserliche Kommandogewalt.
SPD zu Massenstreik: Auf ihrem
Parteitag in Mannheim, der am 23. September beginnt, macht die SPD
unter ihrem Vorsitzenden August Bebel einen Massenstreik von der
Zustimmung der Gewerkschaften abhängig. Dies kommt einer Absage an
den politischen Massenstreik als Kampfmittel gleich. Nicht
durchsetzen kann sich die radikale Sozialistin Rosa Luxemburg, die
einen politischen Massenstreik befürwortet. Am 21. Januar hatten
Sozialdemokraten in Berlin und 30 weiteren Städten gegen das
Dreiklassenwahlrecht demonstriert.
Eulenburg-Affäre: Am 27. Oktober
veröffentlicht der monarchistisch-konservativ gesinnte Publizist
Maximilian Harden den ersten von mehreren Artikeln, in denen er
Mitglieder des preußischen Uradels der Homosexualität bezichtigt.
Dazu zählen u.a. Philipp Fürst zu Eulenburg und Hertefeld, ein
enger Vertrauter von Kaiser Wilhelm II., und der Berliner
Stadtkommandant Kuno Graf von Moltke. Harden, der sich als Verfechter
altpreußischer Gesinnung im Geiste Otto von Bismarcks versteht,
provoziert mehrere Sensationsprozesse, die sich bis 1908 hinziehen.
Sie fügen dem Ansehen der preußischen Monarchie schweren Schaden
zu.
Jahrhundertausstellung: Auf der
Deutschen Jahrhundertausstellung in der Berliner Nationalgalerie
werden Werke deutscher Maler von 1775 bis 1875 gezeigt. Durch die
Ausstellung, die am 24. Januar eröffnet wird, werden Werke und Maler
entdeckt, die künftig zum allgemeinen deutschen Kulturgut gerechnet
werden. Dazu zählt vor allem der Romantiker Caspar David Friedrich.
U-Boot: In Kiel wird am 14. Dezember
das erste deutsche Unterseeboot »U-1« in Dienst gestellt.
Der Bluff von Köpenick
Die ganze Welt lacht über den
arbeitslosen Schuster, der als »Hauptmann von Köpenick« den
wilhelminischen Kadavergehorsam offenlegt.
Wilhelm Voigt, ein kürzlich
entlassener Zuchthäusler, verhaftet am 16. Oktober in einer bei
einem Trödler erworbenen Hauptmannsuniform den Bürgermeister von
Köpenick und zieht die Stadtkasse ein. Dazu hält er zehn zufällig
vorbeikommende Gardesoldaten an und übernimmt mit herrischem
Auftreten »im Namen seiner Majestät des Kaisers« das Kommando.
Der falsche Hauptmann handelt aus
Verzweiflung. Er will mit dem Geld ein Land verlassen, dessen
Behörden einem ehemaligen Straffälligen den Aufbau einer Existenz
verweigern. Am 26. Oktober wird Schuster verhaftet und zu vier Jahren
Gefängnis verurteilt. Der düpierte Bürgermeister Langerhans gibt
später zu Protokoll, er habe als Leutnant der Reserve nicht gewagt,
dem vermeintlichen Hauptmann zu widersprechen.