Peter Anders kam 1908 als Emil Ernst Anders in Essen zur Welt. Er verbrachte seine Kindheit in Posen und kam schließlich nach dem Ersten Weltkrieg als Jugendlicher nach Berlin. Zu diesem Zeitpunkt hatte er die besondere Gabe, mit der ihn die Natur ausgestattet hatte, seine außergewöhnlich schöne Stimme, längst entdeckt. Doch statt eine Gesangsausbildung zu beginnen, landete er nach dem Abschluss der Volksschule bei einem Steuerprüfer in der Lehre. Eine künstlerische Laufbahn konnte der 15-Jährige bei seinen Eltern nicht durchsetzen. In der Kulturmetropole Berlin erhielt die Leidenschaft des heimlichen Gesangstalents jedoch ständig neues Futter. Es war die Zeit der Star-Tenöre wie Richard Tauber, Leo Slezak, Benjamino Gigli oder Giacomo Lauri-Volpi. Peter Anders hörte sie im Rundfunk oder von der Schallplatte. Er studierte die Besetzungslisten der Opernhäuser, und wenn es sein Budget zuließ, kaufte er sich eine Eintrittskarte für eine der vielen Berliner Bühnen.
Peter Anders begann seine Karriere in den frühen 30er Jahren als Buffosänger in Heidelberg und vollzog bis 1945 eine erstaunliche Reifung zum großen lyrischen Tenor. Gelegentliche Ausflüge ins heldische Fach deuteten schon in den frühen 40er Jahren die bevorstehende Entwicklung zum Heldentenor an, die sich 1950 mit seinem Rollendebüt als Othello in Hamburg sichtbar vollzog. Schon während des Krieges zu großer Popularität gelangt, stieg Anders in der Nachkriegszeit zu einem der beliebtesten Tenöre Deutschlands auf. Insbesondere seine Ausflüge ins Liederfach machten ihn einem breiten Publikum bekannt. Stimmlich überzeugte der Tenor durch lyrische Schlichtheit und Genauigkeit der Darstellung, der, besonders in den frühen Aufnahmen, ein gewisses Zeitkolorit anhaftet. Man muss davon ausgehen, dass die Entwicklungsmöglichkeiten dieses großen Tenors bei seinem frühen Unfalltod 1954 längst nicht ausgeschöpft waren.
Doch erst nach Abschluss seiner Ausbildung wagte er 1928 den entscheidenden Schritt und stellte sich dem Gesangslehrer Ernst Grenzebach vor. Grenzebach, der am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium unterrichtete und als Gesangspädagoge über ein sehr gutes Renommee verfügte, nahm den begaben Jungen sofort an. Für Anders begann eine sehr anstrengende und entbehrungsreiche Zeit, denn er musste, um sein Studium finanzieren zu können, normal arbeiten. Erst nach einem achtstündigen Arbeitstag ging er zu seinem Lehrer ins Konservatorium und sang Tonleitern, lernte die richtige Atemtechnik und beschäftigte sich mit den Schwierigkeiten der Stimmbildung. 193l wechselte Anders in die Opernklasse der Staatlichen Musikhochschule. Er hatte inzwischen gute Fortschritte gemacht und bekam noch als Student Gelegenheit, an Max Reinhardts Kurfürstendamm-Theater als zweite Besetzung sowie in einigen Nebenrollen erste Bühnenerfahrungen zu sammeln. Auch die Eltern waren nun von seinen Chancen überzeugt und unterstützten den Sohn, so dass er sich ganz seinem Studium widmen konnte. Stimmlich ließ Anders Ansätze zum lyrischen Tenor erkennen, gehörte aber noch ins Buffofach. Als Buffosänger sollte er auch sein erstes Engagement in Heidelberg antreten.
In der Spielzeit 1932/33 trat Anders sein erstes festes Engagement an den Städtischen Bühnen in Heidelberg an. Dort hatte man gerade erst damit begonnen, ein neues Ensemble aufzubauen, und griff zu diesem Zweck vor allem auf junge Nachwuchskräfte zurück. Die in Heidelberg mit großer Spannung erwartete Premiere von Mozarts »Entführung aus dem Serail« wurde unter der musikalischen Leitung von Kurt Overhoff zu einem großen Erfolg. Anders verdiente sich in der Rolle des Pedrillo die ersten Lorbeeren. Es folgten Rollen als Jaquino in Beethovens Oper »Fidelio«, als Knappe Georg in Lortzings »Der Waffenschmied« und schließlich seine erste Titelrolle: als Orpheus in Jacques Offenbachs »Orpheus in der Unterwelt«. Eine fachliche Neuerung brachte schließlich die Rolle des Nureddin in der komischen Oper »Der Barbier von Bagdad« von Peter Cornelius, denn Anders wandelte sich hier quasi über Nacht vom Sänger lustiger Bufforollen zum lyrischen Tenor. Der Nureddin war seine erste rein lyrische Tenorpartie. Das Heidelberger Publikum und die Presse waren hellauf begeistert.
Die »Neue Mannheimer Zeitung« schrieb:
»Die Überraschung des Abends war der Nureddin von Peter Anders, der schon in der Buffoparie des Pedrillo aufhorchen ließ und nun hier eine lyrische Partie mit wirklichem Glanz der Stimme, mit erfreulicher Musikalität und gelockertem Spiel ausstattete. Als Einzelleistung ließ Anders alle anderen weit hinter sich zurück.«
Als die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 in Berlin die »Macht ergriffen«, machten sich die politischen Veränderungen sehr bald auch für die Künstler in Heidelberg bemerkbar. Die ersten »Säuberungswellen« gingen über die Theater hinweg. Eine große Zahl von Autoren und Komponisten verschwand aus dem Repertoire der deutschen Bühnen. Dirigenten, Instrumentalisten und Sänger, darunter auch berühmte Tenöre, wurden von den Nazis ins Ausland vertrieben. Für Peter Anders bedeutete dies, dass er keine Offenbach-Rollen mehr singen konnte, aber auch, dass er nun in die schmal gewordene Spitzengruppe der Tenöre aufrückte. Es dauerte nicht lange, und die Firma Telefunken bat ihn zu ersten Aufnahmen ins Berliner Studio. Auch der Rundfunk griff nun immer öfter auf den deutschen Vorzeige-Tenor Anders zurück. Seine berufliche Verbesserung ging jedoch nicht nur auf das Dauergeschenk der Nazis an die deutschen Künstler zurück. Anders war ein aufstrebendes, junges Talent. Er brauchte sich nicht vor der Konkurrenz zu verstecken und hatte schon I932 einen Vertrag mit dem renommierten Hessischen Landestheater in Darmstadt abgeschlossen. Da sein Vertrag in Heidelberg auf eine Spielzeit befristet war - den Aufbau einer Opernbühne betrieb man in Heidelberg angesichts der großen Konkurrenz in den umliegender, Städten nur sehr zögerlich -, hatte sich Anders frühzeitig um einen neuen Vertrag bemüht.
In Darmstadt trat er im August 1932 als Fenton in der komisch-phantastischen Oper »Die lustigen Weiber vo. Windsor« von Otto Nicolai an. Er hat te gewisse Schwierigkeiten, sich an die neuen Dimensionen zu gewöhnen Das Theater in Darmstadt war fast doppelt so groß wie das in Heidelberg und musste entsprechend kraftvoll besungen werden, ohne die Stimme zu überfordern. Zudem bereitete ihm die Konkurrenz zu dem 20 Jahre älteren Lokalmatadoren Joachim Sattler Schwierigkeiten. Anders bekam kaum Hauptrollen. Eine Ausnahme stellte die Aufführung der »Zauberflöte« im Februar 1934 im großen Haus in Darmstadt dar, in der er an der Seite von Paria Reining erstmals den Tamino sang. Der Beifall war verhalten. Schlechte und gute Kritiken hielten sich die Waage. Die Besonneneren unter den Kritikern attestierten dem jungen lyrischen Tenor immerhin die Voraussetzungen, eines Tages als Mozart-Sänger zu brillieren - und sie sollten Recht behalten: Der Tamino wurde zu einer der Paraderollen des Sängers.
Im Herbst 1934 wechselte Anders nach nur einer Spielzeit an die Kölner Oper. Sein Engagement in Köln stand von Beginn an unter einem glücklicheren Stern. Er debütierte unter dem Generalintendanten Alexander Spring als Oberon in Carl Maria von Webers gleichnamiger romantischer Oper. Es war ein guter Auftakt für Anders, der in Köln vor allem neue Rollen singen sollte. Intendant Spring bemühte sich, die Tradition des Hauses fortzusetzen und zeitgenössische Opern und Operetten, soweit sie nicht nach der neuen Ideologie als »entartet« galten, auf den Spielplan zu setzen. Einen persönlichen Triumph, der ihm besonders am Herzen gelegen haben dürfte, erzielte der Tenor schließlich mit seinem Kölner Tamino, der von der Presse übereinstimmend als großartiger Erfolg beschrieben wurde. Andere Aufführungen litten unter dem Verdikt, das in der nationalsozialistischen Presse über sie verhängt worden war. So wurde die viel beachtete Uraufführung der Oper »Kleider machen Leute« des Komponisten Alexander Zemlinsky im Oktober 1934 an der Oper in Köln im Jargon der nationalsozialistischen Kulturkritik entsprechend verrissen.
Durch seine Arbeit für Telefunken und für den Rundfunk war Anders inzwischen zu einem der bekanntesten und beliebtesten Tenöre in Deutschland aufgestiegen, und seine deutlich gereifte Stimme rechtfertigte diesen Status. Für die in Anbetracht seines Alters fürstliche Jahresgage von 14.000 Reichsmark schloss er einen Vertrag mit den Städtischen Bühnen in Hannover ab, wo er am 4. September 1935 als Tamino debütierte. In dichter Folge trat Anders in den ersten Wochen seines Engagements in Hannover als Fenton in »Die lustigen Weiber von Windsor« auf, als Rudolf in »La Boheme«, als Herzog im »Rigoletto«, als Linkerton in »Madame Butterfly« und als Chateauneuf in »Zar und Zimmermann«. Es folgten Rollendebüts auf der Opernbühne als Matteo in »Arabella« von Richard Strauss und als Alfred in Verdis »La Traviaa«. Die Kritiken waren ausnahmslos gut, manchmal hymnisch. Inzwischen hatte Anders seine ehemalige Kommilitonin Susanne Mysz-Gmeiner geheiratet, Tochter der berühmten Sängerin und Pädagogin Lula Mysz-Gmeiner, die Anders einst in Berlin an der Hochschule unterrichtet hatte. In Hannover arbeitete Peter Anders nun wieder mit seiner ehemaligen Gesangslehrerin, jetzt Schwiegermutter, zusammen, um seine Fähigkeiten als Liedersänger zu verbessern.
Sein Aufstieg zum Star-Tenor beschleunige sich noch, als im November 1936 Clemens Krauss um ihn warb, der designierte Chef der Münchner Staatsoper. Nach einem erfolgreichen Gastspiel am 17. November 1936 als Lyonel in der Oper »Martha«- die »Münchener Nachrichten« sprachen von »metallischem Glanz, leichter Ansprache und von bezaubernder Klangschönheit« - bot Krauss dem 28-Jährigen einen Vertrag mit verdoppelter Jahresgage, umfangreichen Freiheiten für seine Schallplatten- und Rundfunktätigkeit sowie üppiger Umzugsbeihilfe an. Gleichzeitig empfahl Anders sich auch an der Staatsoper Unter den Linden mit einem umjubelten Debüt als Tamino für die weitere Zusammenarbeit. In Dresden gastierte er als Lyonel an der Semper-Oper unter der musikalischen Leitung von Kurt Striegler. Ebenfalls 1937 sprang er an der Hamburger Staatsoper für den erkrankten Helge Roswaenge als Alfred in »La Traviata« ein.
Clemens Krauss trat in München 1937 die Nachfolge des beliebten Musikdirektors Hans Knappertsbusch an, der sich durch seine ruppige Art und einige kritische Bemerkungen bei den Nazi-Funktionären unbeliebt gemacht hatte. In dem gut besetzten Münchner Sänger-Ensemble trat Peter Anders in Konkurrenz zu Julius Patzak, dem lyrischen Tenor aus Wien, der sich in München vor allem als Mozart-Tenor einen Namen gemacht hatte. Am 30. September 1937 gab Anders seinen Einstand als Alfred in »La Traviata«. In der Presse wurde er einhellig als großer Gewinn für die Bayerische Staatsoper begrüßt.
Alexander Berrsche schwärmte in der »Münchener Zeitung« über die neue jugendliche Stimme:
»Hell und warm im Klang, gleichmäßig durchgebildet in allen Lagen und von einer verblüffenden Leichtigkeit des Ansatzes und der Bewegungstechnik. Sie scheint aus zarterem Stoff als andere, aber sie wirkt weder klein noch weichlich, und was ihr an äußerer Wucht fehlt, ersetzt sie durch Intensj. tät des inneren Ausdrucks, durch eine gesteigerte Verfeinerung der Dynamik und Artikulation.«
Mit ähnlicher Begeisterung wurden auch seine nächsten Auftritte in München aufgenommen. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Anders-Euphorie mit seinem Münchner TaminoDebüt in der Neuinszenierung von Rudolf Hartmann und unter der musikalischen Leitung von Clemens Krauss. Doch trotz seiner Erfolge stellte sich bei dem beliebten Tenor Frustration über seine Arbeitsbedingungen ein. In einem Schreiben an Clemens Krauss beklagte er sich über die vielfältigen Belastungen. Er fühle sich zunehmend als Lückenbüßer ausgenutzt und werde nicht dazu eingesetzt, sein Repertoire zu singen, wie er überhaupt nur wenige erste Rollen singen dürfe. Clemens antwortete in der Sache hart und mutmaßte, dass sich der Sänger wohl mit seinen umfangreichen Verpflichtungen für Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen sowie Gastspielen an anderen deutschen Bühnen übernommen habe. Als die Intendanz dem Tenor nach einer Krankmeldung den Theaterarzt ins Haus schickte, spitzte sich der schwelende Streit dermaßen zu, dass Anders seinen Vertrag im Januar 1940, nach nur zweieinhalb Jahren, aufkündigte.
Die Freiheit währte jedoch nicht lang. Schon in der Spielzeit 1940/41 gehörte der Tenor zum Ensemble der ersten deutschen Bühne in Berlin, der Staatsoper Unter den Linden. Vor dem Hintergrund der politischen und menschlichen Katastrophe in Deutschland und Europa florierte die Karriere des Tenors, der - wie andere Künstler auch - instrumentalisiert wurde, den Ausnahmezustand mit kultureller Normalität zu bemänteln. Anders funktionierte in diesem Zusammenhang. Er setzte brav das obligatorische »Heil Hitler« unter seine Schreiben, durchschaute hier und da die dreisten Propagandalügen und machte in rebellischen Momenten aus »Heil Hitler« ein »Hitlerheil«. Ansonsten erfüllte Anders in Berlin seine Verpflichtungen, tourte durch die annektierten Gebiete und gab überall in Deutschland gefeierte Gastspiele. Auch als in Deutschland 1943 die letzte Mobilmachung erfolgte und Goebbels den totalen Krieg ausrief, musste der Betrieb an der Staatsoper weitergehen. Erst im Juli 1944 war Schluss. Die Opernbühnen verglühten im Feuersturm der Großstädte, und Goebbels schickte schließlich auch noch die kulturelle Elite als letztes Aufgebot an die Front. Dem Volkssturm entkam Anders wenige Tage vor Kriegsende nur durch eine ärztlich zu behandelnde Gallenkolik.
Als unmittelbar nach dem Krieg das kulturelle Leben in Deutschland seinen Neuanfang nahm, stand Peter Anders in der ersten Reihe. Auf improvisierten Bühnen in den zerstörten deutschen Städten bemühten sich die verbliebenen Künstler, die nicht von den Alliierten mit Auftrittsverboten belegt worden waren, um den Aufbau eines Minimalbetriebes. Sein erstes festes Engagement führte Peter Anders [948 nach Hamburg, wo die Staatsoper unter der Leitung von Günther Rennert ihren Betrieb wieder aufnahm. Rennert hatte ein hochkarätiges Ensemble zusammengestellt und baute so die Hamburger Oper zur führenden deutschen Nachkriegsbühne auf. Einen Höhepunkt aus der Sicht Peter Anders' - der in Hamburg in seinen Rollendebüts als Alvaro, Radames, Florestan und Don Jose nicht nur stimmlich und künstlerisch zu neuen Ufern aufgebrochen war, sondern auch große Erfolge beim Publikum und bei der Kritik verbuchen konnte - stellte sein Othello-Debüt von 1950 in der gleichnamigen Verdi-Oper dar. Für diese schwierig zu singende Rolle musste sich Anders stimmlich ins Heldenfach erweitern. Ein großes Wagnis, das ihm unter der Leitung Günther Rennerts auf spektakuläre Weise gelang. Es folgten weitere Heldenrollen als Stolzing, als Siegmund und als Canio.
Als Peter Anders am 10. September 1954 nach einem schweren Autounfall in einem Hamburger Krankenhaus verstarb, stand er als Sänger am Beginn einer großen internationalen Karriere. Nach gefeierten Gastauftritten in England wäre es nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis er an den großen Bühnen der Welt gesungen hätte. Mit der Mailänder Scala und der Metropolitan Opera in New York stand er bereits in Verhandlungen. Der Unfall traf den Sänger 46-jährig auf dem Höhepunkt seines Könnens.