»Ballets Russes« revolutionieren Tanzkunst
Paris, Dienstag, 18. Mai 1909
Zum Ausgangspunkt einer neuen Epoche des europäischen Balletts werden die Opern- und Ballett-Aufführungen der »Ballets Russes«, die eine Renaissance des klassischen Balletts in Westeuropa auslösen.
Vor einem erwartungsvollen Publikum wird in der französischen Hauptstadt mit einem Ballett- und Opernabend die »Saison russe« eröffnet.
Auf dem Programm stehen Tänze nach der Musik russischer Komponisten, u.a. von Alexandr N. Tscherepnin, Nikolai A. Rimski-Korsakow, Michail I. Glinka und Peter I. Tschaikowski, sowie Auszüge aus Alexandr P. Borodins Oper »Fürst Igor«. Die Veranstaltung ist ein durchschlagender Erfolg. Das Pariser Publikum feiert die Akteure, insbesondere Waslaw Nijinski, den Star des Moskauer Ensembles. Gründer und Spiritus rector der »Ballets Russes«, die aus Mitgliedern des Petersburger Marientheaters und des Moskauer Hofballetts bestehen, ist der 37-jährige Impresario Sergei Diaghilew.
Im Bestreben, den Franzosen russische Kunst näher zu bringen, hatte Diaghilew seit 1906 in Paris mehrere Musikvorführungen veranstaltet. Die »Saison russe« versteht er als Krönung seiner Arbeit.
Durch den Erfolg beflügelt, sammelt er führende französische und russische Künstler um sein »Ballet Russe«. Im Zusammenwirken mit Claude Debussy, Igor Strawinski, Richard Strauss, Henri Matisse, Pablo Picasso und den Tänzern Anna Pawlowa und Waslaw Nijinski versucht Diaghilew, seine Vorstellungen einer modernen Tanzkunst zu realisieren. Sein Ziel ist die Integration von Tanz, Musik und Bühnengestaltung. Michail M. Fokin ist der erste Choreograph der Tanz-Truppe. Er strebt vor allem eine künstlerische Synthese zwischen dem Klassizismus Marius Petipas und dem Neoklassizismus George Balanchines an.
Die Stars der »Ballets Russes« setzen auch in den folgenden Jahren Maßstäbe. 1911 wird in Paris die Ballett-Burleske »Petruschka« von Igor Strawinski uraufgeführt. Sie wird eines der beliebtesten Ballette überhaupt. Nijinksi tanzt die Titelrolle, eine Marionette, die zum unglücklichen Helden der Jahrmärkte wird. An seiner Interpretation orientieren sich künftig alle Aufführungen dieses Werks. Auch die von Tamara Karsawina getanzte Ballerina wird zum Vorbild.