Voller Euphorie taumelt Europa in den Weltkrieg
Wien, Dienstag, 28. Juli 1914
Das Attentat von Sarajevo und die dramatischen Ereignisse der sog. Julikrise weiten sich zum Ersten Weltkrieg aus. Nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, lösen die deutschen Kriegserklärungen an Russland am 1. August und Frankreich am 3. August eine Kette weiterer Kriegserklärungen aus. Ein Rausch der Kriegsbegeisterung erfasst fast alle beteiligten Staaten, kritische Stimmen gehen nahezu unter.
Um 11 Uhr teilt der österreichisch-ungarische Außenminister Leopold Graf Berchtold in einem Telegramm der serbischen Regierung in Belgrad die Kriegserklärung Österreich-Ungarns mit. Am 25. Juli hatte Wien die serbischen Zugeständnisse als Reaktion auf das österreichisch-ungarische Ultimatum vom 23. Juli als unzureichend zurückgewiesen.
Kriegsbeginn: Mit dem Beschuss Belgrads durch österreichische Artillerie in der Nacht zum 29. Juli und der Besetzung des neutralen Luxemburgs durch deutsche Truppen am 2. August beginnt die befürchtete militärische Auseinandersetzung der europäischen Großmächte um die Machtverteilung in Europa und in den Kolonien. Die deutsche Regierung isoliert sich international mit ihrem Vorgehen zunehmend, nachdem bereits die Besetzung Luxemburgs im Ausland alarmierend gewirkt hatte. Großbritannien – Garantiemacht der belgischen Neutralität – beschließt am 3. August ein Ultimatum an das Deutsche Reich mit der Aufforderung, eine verbindliche Zusicherung über die Respektierung der belgischen Neutralität zu geben. Nachdem der deutsche Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg die gewünschte Zusicherung verweigert, erklärt Großbritannien dem Deutschen Reich am 4. August den Krieg.
Deutsches Reich: Aus politischen und wirtschaftlichen Gründen strebt das Deutsche Reich die Hegemonie in Europa an. Dazu bedarf es nach Auffassung der Führung in Berlin einer »Entscheidungsschlacht« gegen Russland. Ein bereits 1905 vom preußischen Generalfeldmarschall Alfred Graf von Schlieffen entworfener und nach ihm benannter Aufmarschplan sieht unter Annahme eines Zweifrontenkriegs die rasche Niederwerfung Frankreichs vor, um dann im Osten Russland angreifen zu können.
Frankreich: Paris ist vor allem wegen der deutschen Aufrüstungspolitik besorgt. Politisch und militärisch bedeutsam ist die enge vertragliche Bindung an Russland. Zu den vordringlichen politischen Zielen Frankreichs gehört die Rückgewinnung Elsass-Lothringens.
Großbritannien: Das britische Empire konzentriert sich traditionsgemäß auf die Erhaltung des Machtgleichgewichts. London stellt sich jedem Versuch einer Schwächung oder Vernichtung Frankreichs entgegen. Im Verhältnis zum Deutschen Reich bleibt die Flottenfrage ein bedeutender Gegensatz.
Österreich-Ungarn: Die Donaumonarchie sieht im Kriegsausbruch die Möglichkeit, ihre inneren Auflösungserscheinungen in den Griff zu bekommen. Insbesondere die Politik von Außenminister Leopold Graf Berchtold zielt darauf, den Einfluss der nationalrevolutionären südslawischen Bewegung einzuschränken. Gleichzeitig soll ein Präventivkrieg die Bemühungen Russlands zunichte machen, die slawischen Balkanstaaten unter russischem Einfluss zu einigen.
Russland: Das Zarenregime strebt die Kontrolle der osmanischen Meerengen an Bosporus und Dardanellen sowie Einflussnahme auf die slawische Bevölkerung des Balkans an. Aufgrund der labilen innenpolitischen und sozialen Situation sowie zunehmend revolutionärer Aktivitäten benötigt Zar Nikolaus II. dringend außenpolitische Erfolge.
Konstellationen: Da der Dreibundpartner Italien am 3. August den Bündnisfall für nicht gegeben hält, stehen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn die Staaten der Tripelentente, Frankreich, Großbritannien und Russland, gegenüber. Während sich das Osmanische Reich am 28. Oktober den Mittelmächten anschließt, verstärken Serbien, Belgien und Japan noch 1914 das Lager der Tripelentente. Die von den Mittelmächten erhoffte Unterstützung durch Griechenland und Bulgarien bleibt aus. Beide Staaten erklären sich für neutral.
Kriegsverlauf: Die deutsche Westoffensive mit den beiden strategischen Umfassungsflügeln gegen Belgien und Frankreich führt zur Einnahme Brüssels am 20. August. In der sog. Marneschlacht bringen britische und französische Verbände am 9. September die Offensive zum Stehen und damit den deutschen Blitzkriegplan zum Scheitern. An der Ostfront schlägt die 8. deutsche Armee unter Paul von Beneckendorff und von Hindenburg am 31. August bei Tannenberg die 2. russische Armee vernichtend.