Briten erstmals
unter Labour
London, Mittwoch,
23. Januar 1924
Die erste
Labour-Regierung in Großbritannien ist Ausdruck einer
Kräfteverlagerung. Bislang dominierten Konservative und Liberale.
Zum ersten Mal in
der Geschichte des britischen Königreiches leitet ein Premier der
linksorientierten Arbeiterpartei die Regierungsgeschäfte. Der
Labour-Premierminister James Ramsey MacDonald nimmt vorwiegend
Vertreter des rechten Flügels in sein Minderheiten-Kabinett auf.
Wahlsieg: Labour
und die Liberalen hatten die Unterhauswahlen am 6. Dezember 1923 mit
der Forderung nach einer Freihandelspolitik gewonnen. Beide Parteien
legten 49 bzw. 42 Mandate zu. Die Konservativen unter Stanley Baldwin
erlitten wegen ihres Festhaltens an der Schutzzollpolitik eine
empfindliche Niederlage. Zu den ersten Maßnahmen der Regierung
gehört die Aufhebung der Schutzzölle für Automobile sowie der
Tee-, Kaffee- und Kakaosteuern und -zölle.
Sowjetunion-Politik:
MacDonald erkennt am 2. Februar die Sowjetunion diplomatisch an. Für
die Sowjetunion ist dies der entscheidende Einbruch in die Front der
kapitalistischen Staaten, die dem revolutionären Sowjetrussland
bisher die internationale Anerkennung versagt haben. Lediglich mit
dem als Kriegsverlierer ebenfalls isolierten Deutschen Reich hat die
Sowjetunion diplomatische Beziehungen. Die Annäherungspolitik an die
Sowjetunion kostet MacDonald die Unterstützung der Liberalen.
Labour-Abwahl: Am
29. Oktober, nach nur neun Monaten im Amt, verliert Labour die
vorgezogenen Neuwahlen. Die Regierung bildet erneut der konservative
Politiker Stanley Baldwin. Die Wahlen bringen den Konservativen einen
Mandatszuwachs um 161 auf 419 Sitze. Sie haben damit eine sichere
absolute Mehrheit. Labour gewinnt zwar 1 Mio. Stimmen hinzu, verliert
aber wegen des Wahlverfahrens insgesamt 40 von 191 Sitzen. Im
Wahlkampf nutzten die Konservativen die Enthüllung angeblicher
Sowjetpropaganda für einen kommunistischen Umsturzversuch aus, um
MacDonalds sowjetfreundliche Politik zu diskreditieren. Aus
taktischen Gründen, seiner Minderheitsregierung mangelte es an
Handlungsfähigkeit, hatte MacDonald am 8. Oktober durch Stellung der
Vertrauensfrage bewusst Neuwahlen herbeigeführt.
Regierungskurs:
Erklärtermaßen will die konservative Regierung, der als
Schatzkanzler auch Winston Churchill angehört, die
Befriedungspolitik MacDonalds fortsetzen. Seiner Vermittlung ist die
Verabschiedung des Dawesplans zu verdanken.