Weltgrößter
Bahnhof
New York,
Sonntag, 2. Februar 1913
Die neu erbaute
Central Station zählt zu den letzten großen Bahnhöfen im
architektonischen Prunk des 19. Jahrhunderts.
Mit der Grand
Central Station wird der größte Bahnhof der Welt für die
Central-Railroad-Eisenbahngesellschaft eingeweiht.
Der Bau der
Station war umstritten, da er die städtische Struktur zerstörte.
Für das 32 ha große Areal, das die alte Grand Central Station von
1871 ersetzt, benötigten die Erbauer 143 Mio. US-Dollar. Das Gebäude
hat zwei Stockwerke: Im oberen liegen 42 Gleispaare für die
Fernverbindungen. Insgesamt lassen sich in der Grand Central Station
1043 Eisenbahnwaggons unterbringen. Die Ausstattung der Station
verdeutlicht die wichtige Rolle der Eisenbahn in der Entwicklung der
USA.
Steiner begründet
Antroposophie
Berlin, Montag,
3. Februar 1913
Die von Rudolf
Steiner begründete Antroposophie übt einen wichtigen Einfluss auf
die Kultur im 20. Jahrhundert aus.
Der
österreichische Philosoph, Pädagoge und Naturforscher Rudolf
Steiner gründet die Antroposophische Gesellschaft, die entscheidend
zur Verbreitung der von ihm begründeten Lehre beiträgt.
Der am 27.
Februar 1861 in Kraljevica (Kroatien) geborene Steiner studierte ab
1879 an der Technischen Hochschule in Wien Mathematik und
Naturwissenschaften, schloss aber sein Studium 1891 in Rostock mit
einer Promotion in Philosophie ab. Zwischen 1899 und 1904 lehrte er
an der Arbeiterbildungsschule Berlin, begründete dort im Oktober
1902 die deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft und wurde
deren Generalsekretär. 1913 verließ er die Organisation nach
grundsätzlichen inhaltlichen Auseinandersetzungen, um die
Antroposophische Gesellschaft zu gründen.
Zwischen 1902
und 1909 entwarf Steiner – u.a. im Rückgriff auf Arbeiten von
Johann Wolfgang von Goethe – seine Lehre der Antroposophie, die er
bis 1913 vor allem in zahllosen Vorträgen und Publikationen
propagierte.
Antroposophie
Diese
Weltanschauung sieht den Menschen in einer stufenweisen Entwicklung
begriffen, die er selbst nachvollziehen kann. Steiner sieht in der
Fähigkeit zur Selbstgestaltung die menschliche Freiheit. Zentrum der
Antroposophischen Gesellschaft wird das Goetheanum bei Basel.
Pädagogischen Einfluss übt sie u.a. mit den von ihr gegründeten
Waldorfschulen aus.
Oberst Redl begeht Selbstmord
Wien, Sonntag, 25. Mai 1913
Mit einem erzwungenen Selbstmord endet der spektakulärste Spionagefall der k.u.k.-Monarchie.
Oberst Alfred Redl, Generalstabschef des Prager Korps in der österreichisch-ungarischen Armee begeht auf Druck des österreichisch-ungarischen Geheimdienstes Selbstmord.
Redl hat seit 1901 unter anderem wichtige Aufmarschpläne an Russland, Frankreich und Italien weitergegeben. Neben den Aufmarschplänen übermittelte der Generalstabschef folgende militärisch bedeutsamen Informationen:
»Kriegsordre de bataille«, die Hauptgrundlage für die Mobilisierungsvorbereitungen;
Reservathandbuch, das Vorschriften zum Gebrauch von Handfeuerwaffen sowie taktische Instruktionen enthält;
Kriegsausrüstung fester Plätze, wie z.B. Brückenköpfe und Festungen.
Der russische Geheimdienst hatte 1901 sein Wissen um eine homosexuelle Beziehung und daraus resultierende finanzielle Probleme Redls ausgenutzt, um ihn zur Spionage zu erpressen. Redl erhielt für seine Dienste jährlich 50 000 bis 100 000 Kronen.
Die Überführung Redls erfolgte am 24. Mai aufgrund von Briefkontakten (Deckname »Nikon Nizetas«). Da der Geheimdienst den befürchteten Skandal eines Spionageprozesses gegen ein Generalstabsmitglied verhindern will, überlässt er dem Oberst in dessen Hotelzimmer eine Waffe mit dem Hinweis, dass sein Selbstmord erwartet wird. Redl erschießt sich um 1.45 Uhr. Nach einer Verlautbarung hat er sich »in einem Anfall von Sinnesverwirrung das Leben genommen«.
Balkan bleibt gefährliches Pulverfass
Pirot, Sonntag, 29. Juni 1913
Seit dem Streit um die Aufteilung Makedoniens während der Londoner Friedensverhandlungen zur Beendigung des Ersten Balkankriegs ist eine weitere militärische Auseinandersetzung in Vorbereitung.
Mit dem Angriff der ersten und dritten bulgarischen Armee auf die serbischen Städte Pirot und Zajecar beginnt der Zweite Balkankrieg. Nach weiteren Kämpfen in Makedonien erklären am 3. Juli die serbische und griechische Regierung Bulgarien, das seine militärischen Kräfte überschätzt, offiziell den Krieg.
Die Balkanstaaten Griechenland, Rumänien und Montenegro sowie das Osmanische Reich intervenieren zu Gunsten Serbiens. Nach militärischen Erfolgen gegenüber Bulgarien, u.a. besetzen osmanische Truppen die Stadt Adrianopel, beginnen am 29. Juli in Bukarest Friedensverhandlungen.
Die Friedensschlüsse von Bukarest am 10. August und von Konstantinopel am 29. September 1913, die den Zweiten Balkankrieg beenden, bringen eine tiefgreifende Umgestaltung der Besitzverhältnisse auf dem Balkan. Bulgarien verliert alle Gebietsgewinne aus dem Ersten Balkankrieg, Serbien und Griechenland teilen den größten Teil Makedoniens unter sich auf, Albanien wird unter Wilhelm Prinz zu Wied selbstständiges Fürstentum. Die Insel Kreta fällt endgültig an Griechenland.
Der bulgarische Ministerpräsident Wasil Radoslawow beginnt in der Folgezeit eine vorsichtige politische Annäherung an den Dreibund mit Italien, Österreich-Ungarn und Deutschem Reich. Die Gegensätze zwischen Rumänien und dem Dreibund nehmen zu, weil Österreich-Ungarn die Gebietsforderungen der rumänischen Regierung gegenüber Bulgarien missbilligte. Trotz der territorialen Neugestaltung des Balkans bleibt Südosteuropa auch zukünftig ein Unruheherd.
Balkanbund
Der Beginn des Zweiten Balkankriegs bedeutet die Auflösung des Balkanbunds. Dessen alleiniger Gegner, das Osmanische Reich, tritt – ebenso wie das bisher neutrale Rumänien – an die Seite Serbiens und Griechenlands in den Krieg gegen Bulgarien ein. In den Friedensverhandlungen im rumänischen Bukarest erzielt das Osmanische Reich allerdings keine Gebietsgewinne in Europa.
Neues Atommodell
Kopenhagen, Montag, 30. Juni 1913
Aus den Forschungsarbeiten des dänischen Physikers Niels Bohr resultiert das erste mathematisch fundierte Atommodell.
Bohr beendet die Ausarbeitung seines durch Einführung der Quantenbedingungen bekannt gewordenen Atommodells.
Nach seiner Theorie kann die seit 1900 entwickelte Quantenhypothese – die allgemeine Gesetze mikrophysikalischer Vorgänge unter Berücksichtigung eines sprunghaften (quantenhaften) statt stetigen Ablaufs aufstellt – auf das Wasserstoffatom angewendet und damit die experimentell bereits gefundenen Gesetze des Wasserstoffspektrums erklärt werden. Bohr greift auf die Quantenvorstellung von Max Planck sowie das Atommodell von Ernest Rutherford zurück.
Fließband revolutioniert Arbeit
Detroit, Samstag, 16. August 1913
Mit der Einführung des Fließbandes wird die Arbeitswelt weltweit nachhaltig verändert.
Die Ford Motor Company experimentiert für die Fertigung ihres Autotyps »Model T« mit einer sog. Montagebahn (Fließband), die eine um 400% gesteigerte Produktivität ermöglicht.
Die heute weltweit als Fließband bekannten »conveyors« bewirken im Rahmen des innerbetrieblichen Transportsystems eine stetige Bewegung und lassen das zu bearbeitende und zu montierende Teil an den Arbeitern vorbeigleiten.
Dieser einläufige Betrieb führt zu einer rationelleren Gestaltung der Arbeitsvorgänge und damit zu einer höheren Arbeitsleistung. Henry Ford als Gründer der Ford Motor Company konkretisiert mit der Entwicklung des Fließbandes seinen Grundsatz fortschreitender Rationalisierung.
Kritik an den negativen Folgen von Rationalisierungsmaßnahmen für den Menschen hält Henry Ford in seinen 1925 erschienenen Erinnerungen »Mein Leben und Werk« (deutsch 1932) für unberechtigt. Der Unternehmer vertritt deutlich seinen Standpunkt: »Wir erwarten von den Leuten, dass sie tun, was ihnen gesagt wird. Unsere Organisation ist so bis ins Einzelne durchgeführt und die verschiedenen Abläufe greifen so ineinander ein, dass es völlig ausgeschlossen ist, den Leuten auch nur vorübergehend ihren Willen zu lassen.«
Henry Ford
Ford (* 23.7.1863) war zunächst Maschinist und dann leitender Ingenieur bei der Edison Illuminating Company in Detroit. 1892 konstruierte er sein erstes Automobil, das er in seiner 1903 gegründeten Ford Motor Company zu der berühmten »Tin Lizzy« weiterentwickelte. 1908 bis 1927 wurden davon über 15 Mio. Modelle verkauft. Ford, der 1947 stirbt, führt nicht nur die Fließbandproduktion ein, sondern er schafft mit modernen Methoden der Planung (standardisierte Massenfertigung), Organisation (Rationalisierung) und Produktion (Arbeitsteilung) bei gleichzeitiger Erleichterung der Arbeitsbedingungen (höhere Löhne trotz kürzerer Arbeitszeit) ein für die breite Masse erschwingliches, hochwertiges Industrieerzeugnis.
Gandhi kämpft in Südafrika
Südafrika, Donnerstag, 6. November 1913
Gewaltlos demonstriert der Inder Mohandas Karamchand Gandhi gegen die Politik der Rassendiskriminierung in Südafrika.
Mit 2200 Anhängern überschreitet Gandhi demonstrativ die verbotene Grenze zwischen den Provinzen Natal und Transvaal.
Gandhi rief zu der Aktion auf, nachdem die Regierung den seit 1860 nach Natal angeworbenen Indern den Grenzübertritt verbot und die traditionelle Eheschließung der Hindus für ungültig erklärte.
Tagore erhält
Nobelpreis
Stockholm,
Mittwoch, 10. Dezember 1913
Zum ersten Mal in
der Geschichte erhält mit einem indischen Dichter ein Nichteuropäer
den Nobelpreis für Literatur.
Die Schwedische
Akademie verleiht dem Inder Rabindranath Tagore den
Literatur-Nobelpreis.
»In Anerkennung
seiner in englischer Sprache gekleideten, von einem tiefen Gemüt
erfüllten, schönen und frischen Dichtung, durch die er mit
vollendetem Können seine dichterischen Gedanken in die Literaturwelt
des Abendlandes eingeführt hat«, erhält Tagore die Auszeichnung.
Weitere Preisträger sind Heike Kamerlingh-Onnes (Physik), Charles
Richet (Medizin) und Alfred Werner (Chemie).
Europa am Vorabend des Weltkriegs
Wien, Samstag, 13. Dezember 1913
Die politische Situation der sechs europäischen Großmächte ist 1913 vom Gegensatz zwischen Dreibund (Deutsches Reich, Italien, Österreich-Ungarn) und Tripelentente (Frankreich, Großbritannien, Russland) geprägt. Die Kriegsvorbereitungen werden intensiviert.
In einem Gespräch vertreten der deutsche Botschafter in Österreich-Ungarn, Heinrich von Tschirschky und Boegendorff, und der österreichisch-ungarische Generalstabschef Franz Freiherr Conrad von Hötzendorf die Ansicht, dass sich die politische und militärische Situation in Europa zu Ungunsten des Dreibunds verschlechtere.
Das Treffen der Verbündeten steht im Zusammenhang mit Vorbereitungen auf einen Krieg gegen Frankreich und Russland.
Während die deutsche und österreichisch-ungarische Politik aufgrund innenpolitischer und militärstrategischer Überlegungen Ende 1913 einen zunehmend aggressiven Charakter trägt, sorgt bei den Staaten der Tripelentente vor allem die russische Einflussnahme im Balkangebiet für Konfliktpotential.
Die labilen politischen Verhältnisse im zaristischen Russland fördern das Streben nach außenpolitischen Erfolgen. Die französische Regierung betont dabei ihre Nähe zum russischen Bündnispartner, was sich seit Herbst 1912 in der Ausdehnung ihrer Bündnispflicht auch auf alle aus der russischen Balkanpolitik entstehenden Konflikte ausdrückt.
Großbritannien zeigt ein starkes Interesse an friedlichen Lösungen, sieht sich aber andererseits vor allem durch die deutsche Flottenpolitik provoziert.
Kriegsvorbereitungen laufen
Mittwoch, 31. Dezember 1913
Im Deutschen Reich bestimmt der von Kaiser Wilhelm II. propagierte »Endkampf zwischen Germanentum und Slawentum« die Regierungspolitik.
Wehrvorlage: Der Reichstag verabschiedet am 30. Juni in dritter Lesung die von der Regierung unter Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg eingebrachte Wehrvorlage mit den Stimmen der konservativen Parteien, des Zentrums, der Nationalliberalen und der Fortschrittlichen Volkspartei. Gegen diese umfangreichste Aufrüstung seit der Reichsgründung im Jahr 1871 sprechen sich nur die Sozialdemokraten sowie die polnischen und elsässischen Abgeordneten aus. Die Wehrvorlage sieht u.a. eine Erhöhung der Sollstärke des Heeres um 117 267 Soldaten vor.
Zabern-Affäre: Nach Bekanntwerden von Diskriminierungen der einheimischen Bevölkerung durch Offiziere des im elsässischen Zabern stationierten deutschen Infanterieregiments Nr. 99 kommt es am 6. November in der Stadt zu Demonstrationen. Die als Zabern-Affäre bezeichneten Vorfälle lösen im Deutschen Reich die schwerste innenpolitische Krise seit der Daily-Telegraph-Affäre des Jahres 1908 aus. Mit der Verhaftung von Zivilisten am 26. November setzt in Zabern eine fünftägige Willkürherrschaft des dort stationierten deutschen Militärs ein, die erst auf Weisung der deutschen Regierung endet.
König von Bayern: Aufgrund eines am 30. Oktober von der Abgeordnetenkammer und am 4. November von der Kammer der Reichsräte gebilligten Verfassungszusatzes im Königreich Bayern erklärt der bisherige Prinzregent Ludwig die Regentschaft für beendet und übernimmt als Ludwig III. die Königswürde. Er löst den psychisch kranken bayerischen König Otto ab. Am 8. November leistet Ludwig III. seinen Verfassungseid, am 12. November folgen die Krönungsfeier in der Münchener Residenz und die allgemeine Landeshuldigung.
»L1« abgestürzt: 33 km vor der deutschen Nordseeinsel Helgoland stürzt am 9. September bei regnerischem Wetter das Marineluftschiff »L1« ab. Das Unglück fordert 14 Menschenleben, sieben Besatzungsmitglieder überleben. Die »L1« ist das bisher größte Militärluftschiff.
»Woyzeck«: 76 Jahre nach dem Tod von Georg Büchner (1813-1837) wird sein als Fragment hinterlassenes Drama »Woyzeck« am 8. November im Münchener Residenztheater in der Regie von Eugen Kilian uraufgeführt. Erstmals ist hier ein recht- und besitzloser Angehöriger der Unterschicht die zentrale Gestalt einer Tragödie.
Film mit Weltgeltung: »Der Student von Prag« hat am 22. August in Berlin Premiere. Er wird durch die Verwendung romantischer Märchenmotive und dem in späteren deutschen Filmen häufig wiederkehrenden Thema der Identitätsspaltung zu einem Vorläufer expressionistischer Filme. Paul Wegener spielt die Hauptrolle des Studenten Balduin, der sein Spiegelbild verkauft und sich selbst tötet, als er sich seines Doppelgängers durch einen Pistolenschuss entledigen will.
Nationaler Geist
Mit der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals auf dem Blachfeld bei Leipzig am 18. Oktober findet das seit 1894 dauernde Bemühen des Leipziger Architekten Klemens Thieme um den Bau eines deutschen Nationaldenkmals seinen Abschluss.
Thieme gründete den Deutschen Patriotenbund zur Errichtung eines Völkerschlachtdenkmals. Nachdem jedoch keiner der Bauentwürfe den Patriotenbund zufriedenstellte, beauftragte er den Charlottenburger Architekten Bruno Schmitz.
Sein pyramidenartig konstruiertes Monument hat eine Höhe von 91 m. An seiner terrassenförmig ansteigenden Stirnseite befindet sich ein 60 m breites und 25 m hohes Relief mit einer vom deutschen Maler Christian Behrens angefertigten Darstellung der Völkerschlacht.
Der Patriotenbund stilisierte den Bau von Beginn an zu einer nationalen »alldeutschen« Aufgabe. Unter Berufung auf die vorgebliche historische Kontinuität stellt er den Denkmalbau in Zusammenhang mit aktuellen deutschen Großmachtvorstellungen. So heißt es in einer vom Patriotenbund 1913 herausgegebenen Denkschrift: »Das Denkmal soll eine dauernde, lebendige Kraft ausströmen und vor allem auch die deutsche Jugend zur nationalen Begeisterung entflammen...« Eine Festspielstätte, ein Stadion und eine Kampfbahn will der Patriotenbund ebenfalls errichten.