Wahrheit im Mantel des Nonsens
Zürich, Samstag, 5. Februar 1916
Mit dem Dadaismus entsteht eine neue Kunst- und Literaturrichtung, die in ganz Europa Aufsehen erregt.
Der deutsche Literat Hugo Ball eröffnet das »Cabaret Voltaire«, das zum Ausgangspunkt des Dadaismus wird. Die Dadaisten der ersten Stunde, unter ihnen der Rumäne Tristan Tzara, der Ungar Marcel Janco und der Elsässer Hans Arp, sind weltanschauliche Emigranten, Kriegsdienstverweigerer und Heimatlose.
Am Eröffnungsabend ist das Lokal überfüllt. Das Programm ist bunt und vielfältig. Neben Rezitationen von Gedichten Frank Wedekinds und Else Laskers wird dem Publikum auch ein 20-köpfiges russisches Balalaikaorchester präsentiert. Für Hugo Ball ist Dada »ein Narrenspiel aus dem Nichts, in das alle höheren Fragen verwickelt sind«. Wesentliches Element des Dadaismus ist das Aufgreifen des Überraschenden, die Verfremdung, das Ironisch-Spielerische, die Verbindung von Sinnlosem mit tieferer Bedeutung, die Wahrheit im Mantel des Nonsens.
Obgleich die Dadaisten jegliche Vorbilder leugnen, nimmt der Dadaismus Impulse des Kubismus, Futurismus und des deutschen Impressionismus auf und fasst diese Einflüsse zu einer neuen Richtung, einer Anti-Kunst, zusammen. Ihr wesentliches bildnerisches Ausdrucksmittel wird die Collage. Dada-Lyrik findet ihren Ausdruck in Lautgedichten und »Geräuschkonzerten«.
Der Dadaismus
Gemeinsam ist den Dadaisten die Ablehnung der gültigen ästhetischen Wertmaßstäbe und die Proklamierung der unbedingten Freiheit der Kunst. Dazu gehört das Aufgreifen des Zufälligen, wie es sich schon in der Namensfindung der neuen Kunstrichtung manifestiert: Ein Federmesser wurde in ein Lexikon gesteckt und bezeichnete das Wort »dada« für (frz.) Holzpferdchen.