Insulin entdeckt
– Hoffnung für Zuckerkranke
Toronto,
Mittwoch, 27. Juli 1921
Mit der
Entdeckung des Insulins verzeichnet die medizinische Forschung einen
entscheidenden Fortschritt bei der Bekämpfung der Zuckerkrankheit
(Diabetes).
Dem kanadischen
Mediziner Frederick Grant Banting und seinem Assistenten Charles
Herbert Best gelingt es an der Universität von Toronto, das
Bauspeicheldrüsenhormon Insulin zu isolieren. Sie beweisen damit die
Existenz eines den Blutzuckergehalt senkenden Hormons.
Schon 1889
hatten die Straßburger Wissenschaftler Joseph Freiherr von Mering
und Oskar Minkowski bei Hunden die Bauspeicheldrüse entfernt und
festgestellt, dass die Tiere anschließend die typischen Symptome der
Zuckerkrankheit zeigten. Der US-amerikanische Pathologe Eugene L.
Opie untersuchte 1901 den Verfall von Zellverbindungen in den
Langerhans-Inseln, einem endokrinen Teil der Bauchspeicheldrüse, und
stellte einen Zusammenhang zwischen der Funktion dieser Zellen und
Diabetes her. Die Regulierung des Blutzuckergehalts durch ein Hormon
der Bauchspeicheldrüse wurde vermutet, ließ sich aber nicht
verifizieren.
Seit 1920
bemühte sich der 29-jährige Orthopäde Banting, unter Mitwirkung
des Institutsdirektors John James Macleod um einen praktischen Beweis
von Opies These.
Er unternahm
zahlreiche Tierversuche, bis es ihm gelang, das Hormon der
Langerhans-Inseln rein darzustellen. Der Wirkstoff wurde einem Hund
injiziert, dem die Bauchspeicheldrüse entfernt worden war und der
daher an einer Überzuckerung des Blutes gestorben wäre. Durch die
Insulinspritze blieb der Hund am Leben.
Am 30. Juli wird
das Insulin erstmals zur Behandlung eines Menschen angewendet. Ein
13-jähriger Junge, der im Diabeteskoma liegt, kann durch eine
Injektion vor dem Tod bewahrt werden.
Die
Stoffwechselstörung, von der allein im Deutschen Reich
schätzungsweise eine halbe Million Menschen betroffen sind, ist
bisher nur an ihren Symptomen erkennbar. Die Verbindung von starkem
Durstgefühl, Heißhunger, Trockenheit von Haut und Schleimhäuten
sowie Müdigkeit und Leistungsabfall deutet auf Diabetes hin, für
den es kein eindeutiges Krankheitszeichen gibt.
Die häufigste
Form der Zuckerkrankheit, der Altersdiabetes, wird seit dem Ende des
19. Jahrhunderts mit diätetischer und Bewegungstherapie behandelt,
zumal insbesondere bei Fettleibigen eine Erhöhung des Blutzuckers
diagnostiziert wird. Keine Heilungschancen bestehen bei einem anderen
Typ von Diabetes, der im Jugendalter auftritt und bei dem in der
Bauchspeicheldrüse kein Insulin produziert wird. Starke
Stoffwechselstörungen führen zum diabetischen Koma, das mit
Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislauf-Versagen tödlich sein kann.
Banting und
Macleod erhalten für ihre Entdeckung im Jahr 1923 den Nobelpreis für
Medizin. Der Protest Bantings, dass sein Mitarbeiter Best und nicht
Macleod den Preis verdient habe, wird vom Verleihungskomitee
allerdings nicht berücksichtigt.